Als Gebärdensprache bezeichnet man eine eigenständige, visuell wahrnehmbare Natürliche Sprache, die insbesondere von gehörlosen und stark schwerhörigen Menschen zur Kommunikation genutzt wird.
Gebärdensprache besteht aus kombinierten Zeichen (Gebärden), die vor allem mit den Händen, in Verbindung mit Mimik und Mundbild (lautlos gesprochene Wörter oder Silben) und zudem im Kontext mit der Körperhaltung gebildet werden. Bei der taktilen Gebärdensprache für blinde Gehörlose werden die Gebärden gefühlt. Dazu nimmt der Sprecher oder Dolmetscher die Hände seines Gegenübers in seine eigenen.
Eigenständige Sprache und Verhältnis zur Lautsprache
Gebärdensprachen sind wissenschaftlich als eigenständige und vollwertige Sprachen anerkannt. Sie haben eigene grammatische Strukturen, die sich von der Lautsprache des jeweiligen Landes grundlegend unterscheiden. Daher lässt sich Gebärdensprache nicht Wort für Wort in Lautsprache umsetzen. Ein bemerkenswerter Unterschied zu Lautsprache ist, dass mit Gebärdensprache mehrere Informationen parallel übertragen werden können, z.B. mit der Gebärde „fährt über eine Brücke“, während Lautsprache hier gezwungenermaßen sequentiell (mit aufeinanderfolgenden Informationen) arbeiten muss. Dieses häufig als "Inkorporation" bezeichnete (in neueren Forschungsansätzen jedoch zur Flexion gezählte) Konzept ist ein wichtiges Element der Gebärdensprache.
Gebärdensprachen unterscheiden sich von Land zu Land. So gibt es im deutschsprachigen Raum die Deutsche Gebärdensprache (DGS), die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) wie auch die Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS). Die verbreitetste Gebärdensprache dürfte die American Sign Language (ASL) sein. Die Gebärdensprachen sind sich jedoch untereinander häufig ähnlicher als die verschiedenen Lautsprachen. Auf internationalen Veranstaltungen kommt zunehmend die sogenannte internationale Gebärdensprache zum Einsatz. Diese im Entstehen begriffene Gebärdensprache entwickelt sich durch Konvention aus Gebärden verschiedenen länderspezifischer Gebärden nach pragmatischen Aspekten.
Gehörlose Kinder mit Gebärdensprach-Kompetenz sind – wie viele Fälle zeigen – in der Lage, die Schriftform der jeweiligen Lautsprache als Zweitsprache zu erwerben. Gehörlose Kinder, denen die Gebärdensprache verwehrt wird, erreichen durch diese Maßnahme nicht automatisch eine Kompetenz in der Schrift- oder Lautsprache ihrer Umgebung. Sie können teils auch später in der Gebärdensprache keine muttersprachliche Kompetenz erwerben und daher ein Leben lang „spracharm“ bleiben. Mit ein Grund dafür ist, dass die Gebärdensprache nur schlecht simultan, das heißt, Laut- und Gebärdensprache gleichzeitig, gesprochen werden kann, da die jeweiligen Sprachen eine andere Grammatik und zum Teil andere Redewendungen haben. Das bedeutet, dass die Gebärdensprache wie bei zwei verschiedenen Lautsprachen auch, sich gegenseitig in Konkurrenz treten, wenn sie gesprochen werden. Das schließt selbstverständlich einen Bilingualismus jedoch nicht aus; es gibt Individuen, die zeigen, dass der Bilingualismus zwischen Gebärden- und Lautsprache funktioniert, allerdings sind diese Beispiele nur in geringer Zahl anzutreffen. Befürworter der bilingualen Erziehung vertreten die Ansicht, dass dies auf der bislang noch nicht in größerem Ausmaß praktizierten Erziehungsform, der bilingualen Erziehung zurückgeht. Kritiker verweisen dagegen auf Personen, die trotz Gehörlosigkeit allein mit der Lautsprache eine sehr hohe Verständlichkeit und Ausdrucksform erreicht haben und sogar studieren können. Ein Ende dieses Streits ist nicht abzusehen, da weder die eine noch andere Seite - wie in der Pädagogik allgemein so oft üblich - stichhaltige Beweise hat. Es gab und gibt weltweit Anstrengungen, die Gebärdensprachen gesetzlich zu verankern.
Gebärdenschrift
Gebärdensprache hat sich bisher nicht für den Alltagsgebrauch zuverlässig verschriftlichen lassen, obwohl es bereits mehrere Ansätze dazu gibt. Für wissenschaftliche Forschungen existieren jedoch „Notationssysteme“ wie z. B. das HamNoSys (Hamburger Notationssystem); sie arbeiten z. B. mit der Zerlegung jeder Gebärde in Handform, Handstellung, Körperbereich, Bewegungsausführung etc. und der jeweils entsprechenden Darstellung. In der Praxis findet auch die so bezeichnete GebärdenSchrift (Schreibweise in Anlehnung an das Englische SignWriting, ursprünglich entwickelt von Valerie Sutton und Teil des Sutton MovementWriting-Systems) am Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte in Osnabrück Anwendung. Sie wird mit Erfolg ab der ersten Klasse eingesetzt.
Manuelle Kodierungssysteme für die deutsche Sprache
Von der Gebärdensprache abzugrenzen sind die sogenannten manuell-visuellen Kodierungssysteme der deutschen Sprache:
- Fingeralphabet, - Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG) oder gebärdetes Deutsch, - Lautsprachunterstützende Gebärden (LUG), - Gebärdenunterstützte Kommunikation (GuK).
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Die Deutsche Gebärdensprache (abgekürzt DGS) ist die visuell-manuelle Sprache, in der deutsche Taube und schwerhörige Personen untereinander kommunizieren. Die Wörter der Sprache nennen sich Gebärden. Diese Sprachgemeinschaft umfasst ungefähr 200.000 Menschen, die auch sprachenflexible hörende Benutzer einschließt.
Allgemeines
DGS ist eine eigenständige Sprache, deren Grammatik von derjenigen der deutschen Lautsprache verschieden ist; z. B. werden adverbielle Bestimmungen der Zeit meistens am Satzanfang, Verben sowohl nach dem Subjekt als auch am Ende des Satzes gebärdet.
Es gibt auch ein eigenes System "Lautsprachbegleitende(r) Gebärden" (LBG), auch "gebärdetes Deutsch" genannt, das ganz oder teilweise der Grammatik der deutschen Sprache folgt, von vielen DGS-Benutzern aber als "falsch" empfunden wird - man stelle sich vor, deutsche Wörter plötzlich im englischen Satzbau zu verwenden.
DGS ist wie andere Gebärdensprachen auch eine visuelle Sprache, die neben Körperhaltung und Gesichtsmimik vor allem Gebärden verwendet, um Gedanken sowie Sachverhalte auszudrücken. Gebärden unterscheiden sich voneinander durch Handform, Handstellung, Ausführungsstelle und Bewegung. Auffallender Unterschied zu Lautsprachen ist, dass Gebärdensprachen räumlich sind: Personen und Orte können in einem Gespräch sozusagen in der Luft platziert werden, und je nach der Bewegungsrichtung von Gebärden zwischen diesen "Raumpunkten" ändert sich die Bedeutung. Als Hilfsmittel zum Buchstabieren von Eigennamen oder Vokabeln, deren Gebärden einer der oder beide Gesprächspartner (noch) nicht kennen, dient das Fingeralphabet.
Von den Anhängern des Oralismus wurde die Gebärdensprache tauber Kinder über mehr als 175 Jahre lang unterdrückt, weil man glaubte, sie behindere das Erlernen der für taube Kinder nicht oder nur schwer wahrnehmbaren Lautsprache. Kinder, die beim kommunikativen Gebrauch der Hände ertappt wurden, erhielten in einigen Schulen Stockschläge auf die Hände oder wurden mit Spielverbot und Nachtischentzug bestraft. Ihnen wurde beigebracht, sich für den Gebrauch der Gebärden zu schämen. Eltern wurden dazu angehalten, mit Kindern nur in der Lautsprache zu kommunizieren. In einigen Schulen wurde und wird jetzt noch das Gebärden nur toleriert, die Lehrer wenden diese Sprache aber im Unterricht nicht an. Die Antipathie gegen die Gebärdensprache hat sich heutzutage gemildert. Sie ist jetzt in Deutschland als Sprache anerkannt (was bedeutet, dass Gehörlose jetzt ein Recht auf Dolmetscher haben). Die rechtliche Anerkennung der DGS in Deutschland erfolgte 2002 mit dem Behindertengleichstellungsgesetz (§ 6 BGG).
Aufgrund dieser Vergangenheit ist die DGS noch nicht landesweit standardisiert. Es gibt regionale Dialekte. Oft wird die Gebärdensprachgrammatik mit der Grammatik der deutschen Sprache vermischt; es entsteht eine Art Mischmasch von DGS und gebärdetem Deutsch.
Es gibt Wörterbücher mit Fotos und CD-ROMs von Gebärden und umfangreiche Internetangebote mit Videoinformationen in Deutscher Gebärdensprache: Bundesagentur für Arbeit - Ausbildung oder Streitkräftebasis der Bundeswehr. Die Grammatik der Deutschen Gebärdensprache ist noch nicht vollkommen geschrieben. Um die DGS schriftlich niederlegen zu können, wurden verschiedene Notationssysteme wie HamNoSys geschaffen.
Die Grammatik der Deutschen Gebärdensprache
Die Grammatik der Deutschen Gebärdensprache lässt sich mit Hilfe der konventionellen sprachwissenschaftlichen Kategorien Phonologie, Morphologie, Morphosyntax und Syntax beschreiben.
- Phonologie - Morphologie - Morphosyntax - Syntax
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Weil die Gebärdensprachen eigenständige und völlständig entwickelte Sprachen sind, haben sie, wie auch die Lautsprachen, eine Geschichte.
Einleitung
Es müsste wohl schon immer gewisse relativ einfache Gebärdensprachen gegeben haben, die spontan entstanden und sich über einen längeren Zeitraum entwickelt haben.
Darüber weiß die Geschichte sehr wenig. Schon Plato, Augustinus und Leonardo da Vinci berichteten über gebärdende taube Personen. Im jüdischen Talmud wird die Eheschließung von tauben Ehewilligen in Gebärden erwähnt. Die bekannte Geschichte der modernen Gebärdensprachen beginnt erst im 18. Jahrhundert mit der Bildung tauber Kinder.
Anfänge
Gebärdensprache entstand überall dort, wo sich taube Menschen trafen.
Sie wuchs aus einfachen Zeige- oder Hinweis-Gebärden, skizzierenden Nachbildungen von Gegenständen mit einer oder beiden Händen und pantomimischen Nachbildungen von Handlungen.
Mit zunehmendem Umfang erhielten die Gebärdenzeichen auch eine strukturierende Abfolge, eine Grammatik. Gebärdensprachsysteme, die an verschiedenen Orten in verschiedenen Gruppen entstanden, gleichen sich nicht, haben aber ähnliche Strukturen. Ein Hindernis für die gleichmäßige Entstehung und Verbreitung war die Verstreutheit von jeweils nur kleinen Gruppen von tauben Personen.
Eine stabilisierende Entwicklung erfuhren Gebärdensprachen mit der pädagogischen Betreuung von tauben Kindern, die zuerst in privilegierten Kreisen, beispielsweise durch den Mönch Pedro Ponce de León in Spanien, der um 1550 Gebärden vom Kloster San Salvador de Ona verwendete, um taube Kinder der Adligen zu unterrichten.
Gründer der ersten öffentlichen Schule für taube Kinder war 1755 in Paris der Geistliche Abbé de l'Epée. Er hatte dort Mitte des 18. Jahrhunderts die Gehörlosen gesehen, die in Straßen mit Händen miteinander sprachen. Darüber hatte schon der taube Buchbinder Pierre Desloges 1779 in einem kleinen Buch "Beobachtungen" berichtet, wie er selbst mit anderen tauben ungeschulten Erwachsenen in Gebärden "über alles, was es unter der Sonne gibt" unterhalten hatte. De l'Epée merkte schnell, dass diese Sprache die Basis für die Erziehung der tauben Kinder bilden könnte.
Nach der Gründung seiner Schule für taube Kinder wurde unter seiner Leitung aus den "Straßengebärden" mit Hilfe der französischen Grammatik eine ausgebaute Gebärdensprache entwickelt (siehe Ausbausprache). Diese Gebärdensprache verbreitete sich schnell und wurde populär. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gab es 21 Schulen für taube Kinder, an denen jedoch zum Teil auch versucht wurde, tauben Kindern primär die Lautsprache beizubringen.
Nichtsdestoweniger nutzten die Kinder in oralen Schulen die Zeit, in der die Lehrer sie nicht im Auge behalten konnten, um sich untereinander in Gebärdensprache zu unterhalten. Die Schulen für taube Kinder waren damit in jedem Fall die Orte, an denen sich die Gebärdensprache weiter entwickelte oder immer wieder neu im Untergrund entstand, wo sie verboten war.
1816 lernte der taube Absolvent der oben erwähnten Schule in Paris und Lehrer Laurent Clerc an derselben Schule den US-amerikanischen Geistlichen Thomas Hopkins Gallaudet kennen. Dieser reiste zur Erforschung der Erziehung und Bildung für taube Kinder nach England und Frankreich. Daraufhin entschloss sich Clerc mit Gallaudet nach Amerika zu gehen, um sich dort die Schulbildung für taube Kinder anzufangen. Nachdem Clerc und Gallaudet 1817 in Hartford, Connecticut, das "American Asylum for the Deaf" gegründet hatten, wurde dort die American Sign Language (ASL) entwickelt. ASL verbreitete sich schnell in anderen Bundesstaaten der U.S.A. und Kanada. Im Jahre 1864 entstand in Washington D.C. die erste höherbildende Institution für taube Studenten mit Edward Miner Gallaudet, dem jüngsten Sohn von Thomas H. Gallaudet als Präsident. Später bekam sie den Namen "Gallaudet College" zu Ehren von Thomas H. Gallaudet und dann "Gallaudet University". Dieser Institution verdankt sich die weitestgehende Standardisierung der ASL in den ganzen U.S.A. und in englischsprechenden Teilen von Kanada.
Rückschläge
Anfang des 19. Jahrhunderts wurde es jedoch populär, taube Kinder nur zum Sprechen zu erziehen. Die sogenannten "Oralisten", von denen keiner taub war, bekämpften die Gebärdensprache mit allen Mitteln. Sie wurde als "Affensprache" hingestellt. Diese Ansicht führte 1880 zu dem Beschluss beim internationalen Taubstummenlehrerkongress in Mailand, die Gebärdensprache generell vom Unterricht zu verbannen und nur Sprechen zuzulassen. Danach wurde die Gebärdensprache in fast allen Schulen aller Länder verboten. Bis heute hat die Gebärdensprache nicht mehr die gleiche Stellung wiedererlangt, die sie vorher hatte. In Frankreich wurde erst 1991 das Gebärdenverbot in Schulen für taube Kinder per Gesetz aufgehoben.
Wissenschaftliche Erforschung
Der hörende Pädagoge und Linguist Bernard Tervoort in den Niederlanden hatte schon 1953 den Wert der Gebärdensprache für die Kommunikation zwischen den tauben Menschen betont, bevor William Stokoe, ein hörender Linguist am Gallaudet College, 1960 die Strukturen der amerikanischen Gebärdensprache mit den Mitteln der modernen Linguistik untersuchte und überzeugend bewies, dass Gebärdensprache der Lautsprache in nichts nachsteht.
Seit 1975 wurde die Deutsche Gebärdensprache (DGS) systematisch von dem Linguisten Siegmund Prillwitz erforscht.
Desgleichen wird die Gebärdensprache auch in Universitäten in anderen europäischen Ländern erforscht, vor allem in Schweden und Großbritannien.
Seit 1977 erschienen in Deutschland die sog. "Blauen Bücher" 'Die Gebärden der Gehörlosen' von den Gehörlosen-Pädagogen Starcke, Maisch und Wisch.
Etwa 1982 entstand unter der Leitung von Prillwitz das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser.
Etwa seit 1985 wuchs in Deutschland in den Kreisen der tauben Menschen ein stolzes Selbstbewusstsein durch die Erkenntnis über die Vollwertigkeit ihrer Gebärdensprache.
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