Morphosyntax

Morphosyntax

DGS ist eine synthetische Sprache (flektierend-agglutinierend) und aus typologischen Gründen morphosyntaktisch sehr viel reicher als die indoeuropäischen Sprachen. Neben den Markierungen für Kongruenz finden wir einen sehr differenzierten Verbalaspekt, Klassifikation, Numerus und Modus. Tempus- und Genusflexion gibt es in DGS nicht.


Flexionsklassen

DGS hat drei Flexionsklassen: personenkongruente Verben, ortskongruente Verben und schwach kongruente Verben.

Zu den personenkongruenten Verben zählen Verben mit Objektkongruenz und Subjekt-Objekt-Kongruenz. Bei Subjekt-Objekt-Kongruenzverben beginnt die Verbgebärde beim Subjekt und endet beim Objekt. Auf diese Weise werden den Referenten im Gebärdenraum Raumpunkte zugewiesen. Verben hingegen, die nur mit dem Objekt übereinstimmen, verorten das Subjekt nicht. Personenkongruenzverben sind bspw. die Gebärden für geben, leihen, schenken. Ebenso gehören die Gebärden für fragen, informieren, erzählen zu dieser Klasse, werden in einigen Dialekten der DGS jedoch nur objektkongruent verwendet. Ortskongruente Verben sind Verben, die mit einem oder mehreren Orten im Satz kongruieren. Durch Anfang und/oder Ende der Gebärde werden Orten im Satz eindeutige Raumpunkte im Gebärdenraum zugewiesen. Zu dieser Klasse zählen lokale Ortsverben wie sitzen, stehen, liegen und direktionale Ortsverben wie setzen, stellen, legen, fahren. Schwach kongruente Verben (auch als einfache Verben bezeichnet) sind Verben, die häufig keine sichtbare Kongruenzmarkierung haben. Zu diesen Verben zählen Verbgebärden, die körpergebunden ausgeführt werden. Eine Vielzahl dieser Verben kann unter bestimmten Umständen jedoch Kongruenzmerkmale erhalten, bspw. um Dual, Paukal oder Plural auszudrücken. Hierzu zählen Verben, die folgende Bedingungen erfüllen:

- sie werden nicht körpergebunden und mit einfacher, nicht alternierender Bewegung ausgeführt,
- sie werden körpergebunden auf der nichtdominanten Hand ausgeführt,
- sie werden körpergebunden mit einer Bewegungsrichtung auf der Sagittalebene nach vorn oder hinten ausgeführt.

Verben ohne Kongruenzinformationen mit belebtem Objekt verlangen einen ungebundenen Kongruenzmarkierer.


Aspekt

DGS hat ein reiches Aspektparadigma. Zu unterscheiden sind der Temporalaspekt, der Aspekt der Art und Weise und die Aktionsart.

Der Temporalaspekt bezieht sich auf die zeitliche Struktur von Ereignissen. In DGS konnten bisher fünf Arten des Temporalaspekts entdeckt werden:

- Durativ: Ausdruck von kontinuierlichen, lange andauernden Ereignissen (Der Student überlegt lange.); Bildung: abhängig von der Silbenstruktur der Grundform der Verbgebärde entweder Einfrieren, Dehnen oder Reduplikation des Wortstamms

- Iterativ: Ausdruck von wiederholten Ereignissen (Das Kind schreit immer wieder.); Bildung: Reduplikation der gesamten Gebärde mit kurzer Pause

- Habituativ: Ausdruck von gewohnheitsmäßig wiederholten Ereignissen (Der Nachbar pflegt jeden Samstag die Treppe zu putzen.); Bildung: Reduplikation der gesamten Gebärde mit längerer Pause

- Perfektiv: Ausdruck von abgeschlossenen Ereignissen (Der Student hat das Buch durchgelesen.); Bildung: abhängig von der Verbklasse entweder manuell durch die Gebärde PERF, durch erhöhte Artikulationsgeschwindigkeit mit abruptem Ende oder nichtmanuell durch Kopfnicken. Der Perfektiv in DGS ist nicht funktionsgleich mit dem deutschen Perfekt.

- Progressiv: Ausdruck des Verlaufs von Ereignissen (Der Student liest gerade das Buch.); Bildung: Verlangsamung und Dehnung der Verbgebärde, häufig mit sanftem Gebärdenende

Der Aspekt der Art und Weise drückt im Wesentlichen den Zustand aus, in dem sich der Handelnde während einer Handlung befindet (Der Mann backt fröhlich Kuchen. Die Frau liest wütend einen Brief.). Im Deutschen werden zum Ausdruck der Art und Weise in der Regel Adverbien oder Adverbialen verwendet (Der Mann backt mit kindlicher Freude Kuchen. Die Frau liest voller Wut einen Brief.). In DGS hingegen wird dieser Aspekt nicht durch Adverbien oder Adverbialen ausgedrückt, sondern durch mimische Markierung des Verbs, also durch Verbalflexion. Die "adverbiale Mimik" zählt zur syntaktischen Mimik, da sie im Gegensatz zur lexikalischen Mimik nicht mit dem Verb im mentalen Lexikon gespeichert ist, sondern produktiv mit jedem Verb kombiniert werden kann.

Die Aktionsart in DGS charakterisiert die Ausführungsart und –geschwindigkeit einer Handlung oder eines Ereignisses, bspw. in Schlangenlinien fahren, torkeln, langsam lesen. Auch sie gehört zur Verbalflexion, wird aber im Gegensatz zum Aspekt der Art und Weise manuell durch Veränderung der Bewegungsart und/oder Bewegungsgeschwindigkeit ausgedrückt. In einigen Fällen verlangt der Aspekt der Art und Weise notwendig eine zusätzliche Markierung für Aktionsart, wie in Das Kind schreibt lustlos einen Aufsatz, wobei zur nichtmanuellen Markierung für lustlos die Ausführungsgeschwindigkeit der Gebärde für schreiben reduziert wird.


Klassifikatoren

Die Klassifikatoren der DGS drücken im Wesentlichen physikalische Eigenschaften von Lebewesen und Gegenständen aus. In DGS werden zwei Arten von Klassifikatoren unterschieden: Nominalklassifikatoren und Verbalklassifikatoren.

Nominalklassifikatoren sind freie Morpheme mit adjektivischer Funktion. Sie werden verwendet, um Größe, Form und Dekor von Gegenständen zu beschreiben. Sie werden daher auch als Size and shape-specifier oder kurz SASS bezeichnet. SASS-Klassifikatoren tragen meistens mindestens zwei Informationen: BUCH SASS:DICK-GROSS, GLAS SASS:RUND-SCHMAL. Eine Untergruppe der SASS-Klassifikatoren sind die Körperklassifikatoren, mit denen man das Aussehen von Lebewesen beschreibt, etwa die Länge der Haare, die Form eines Bartes, aber auch die Musterung von Kleidungsstücken oder – bei Tieren – des Fells.

Verbalklassifikatoren sind an ein Verb gebundene Morpheme. Es wird zwischen Subjektklassifikatoren und Objektklassifikatoren unterschieden. Verben mit Subjektklassifikatoren(auch Classklassifikatoren genannt) kongruieren mit dem Subjekt des Satzes. Das Verb wird mit einer bestimmten Handform aus einer endlichen Menge von Handformen ausgeführt, die inhärente Eigenschaften des Subjektnomens repräsentiert. Zu den subjektklassifizierenden Verben zählen lokale Ortsverben wie die Gebärden für stehen, liegen und direktionale Verben wie die Gebärden für fahren, gehen, klettern. Verben mit Objektklassifikatoren (auch Handle- oder Handhabungsklassifikatoren genannt) kongruieren mit dem direkten Objekt des Satzes. Auch hier wird das Verb mit einer bestimmten Handform aus einer endlichen Menge von Handformen ausgeführt, die inhärente Eigenschaften des Objektnomens repräsentiert. Zu den objektklassifizierenden Verben gehören die Gebärde für geben sowie direktionale Ortsverben wie die Gebärden für setzen, stellen, legen, fahren.

Beispiel:

- fahren als subjektklassifizierendes Verb: Das Auto fährt den Berg hinunter.
- fahren als objektklassifizierendes Verb: Der Chauffeur fährt das Auto den Berg hinunter.

Beide Klassifikatoren haben eine Untergruppe. Zu den Classklassifikatoren gehören die Körperteilklassifikatoren, mit denen durch eine bestimmte Handform der Körperteil eines Lebewesens kodiert wird, bspw. Der Hund wedelt mit dem Schwanz. Der Elefant stampft durch den Porzellanladen.

Die Unterart der Handleklassifikatoren sind die Instrumentalklassifikatoren, mit denen das für eine Tätigkeit verwendete Instrument ausgedrückt wird: mit der Schere schneiden, mit dem Brotmesser schneiden, mit einem Strohhalm trinken.


Numerus

Wie die Klassifikatoren lässt sich auch der Numerus in zwei Gruppen einteilen, in den nominalen Numerus und den verbalen Numerus.

Beim nominalen Numerus ist die Numerusinformation in der Nominalphrase enthalten, entweder

- als Zahlwort (zwei, drei, vier, ...)
- als Quantor (einige, viele, alle, ...)
- als Determinativ mit Pluralinformationen (Artikel, Demonstrativpronomen, Possessivpronomen)
- durch Reduplikation von Nomen
- durch Reduplikation von SASS-Klassifikatoren

Die Reduplikation von Nomen und SASS-Klassifikatoren unterliegt Beschränkungen. Redupliziert werden Gebärden, die nicht körpergebunden sind und mit einfacher Bewegung (bspw. nicht kreisförmig) ausgeführt werden. Nicht redupliziert werden Gebärden, die körpergebunden sind und/oder mit komplexer Bewegung ausgeführt werden. Die phonotaktischen Beschränkungen der Reduplikation gelten nur bei der Numerusflexion, nicht aber bei der Aspektmarkierung.

Beim verbalen Numerus wird der Numerus durch das Verb ausgedrückt. Alle Verben mit gebundenen oder ungebundenen Kongruenzmorphemen drücken Plural aus, indem sie durch Reduplikation Referenten entweder mehrere Raumpunkte oder eine Raumpunktmenge zuweisen.

- Personenkongruente Verben weisen dem indirekten Objekt und dem Subjekt Plural zu.
- Ortskongruente Verben weisen den Ortsargumenten Plural zu.
- Schwach kongruente Verben können unter den oben genannten Bedingungen sowohl Objekten als auch Ortsargumenten Plural zuweisen.
- Klassifizierende Verben weisen den direkten Objekten Plural zu.

Neben dem Plural können in DGS in Abhängigkeit von Flexionsklasse und Klassifikation auch Dual und Paukal ausgedrückt werden.


Modus

Modus oder Modalität in der DGS dient zum Ausdruck

- einer Absicht, einer Verpflichtung oder eines Wunsches (deontische Modalität)
- der Bewertung einer Aussage durch Sprecher/Signer (Gebärdensprachbenutzer) hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeit (epistemische Modalität)
- der Einstellung der Sprecher/Signer zu einer Handlung/einem Ereignis (Sprechereinstellung)

Zum Ausdruck der deontischen Modalität verwendet DGS dieselben Mittel wie die deutsche Lautsprache, nämlich Modalverben wie wollen, müssen, sollen, dürfen mit im Wesentlichen denselben Bedeutungen. Eine Ausnahme bildet hier die Gebärde für müssen bzw. sollen, die nur verwendet werden kann, um die Verpflichtung zu einer Handlung im Auftrag durch eine andere Person auszudrücken (Ich muss einkaufen gehen. Mein Partner hat es mir aufgetragen.). Sobald die Notwendigkeit zu der Handlung aus eigener Einsicht kommt oder den äußeren Umständen zuzuschreiben ist, so wird das Verb (in diesem Falle gehen) manuell durch Ausführungsgeschwindigkeit und häufig auch mimisch markiert (Ich muss einkaufen gehen. In meinem Kühlschrank herrscht gähnende Leere.).

Zum Ausdruck der epistemischen Modalität verwendet die deutsche Lautsprache u.a. (epistemische) Satzadverbien (Wahrscheinlich war der Postbote schon da.) oder (epistemische) Modalverben (Der Postbote muss schon da gewesen sein.). Zum Ausdruck von Sprechereinstellungen stehen ebenfalls Satzadverbien zur Verfügung ((un)glücklicherweise, hoffentlich, unbedingt, freundlicherweise). In DGS werden beide Modalitäten (Modi) nichtmanuell, d.h. durch Mimik und Kopf- und Körperhaltung ausgedrückt. Im Gegensatz aber zum Aspekt der Art und Weise wird zum Ausdruck der Modi der gesamte Satz nichtmanuell markiert. Zusätzlich können Satzadverbien verwendet werden. Epistemische Modalverben gibt es in DGS nicht, deontische Modalverben können nicht in der epistemischen Lesart verwendet werden.


Negation

Zur Negation bedient sich DGS dreier Mittel: syntaktischer, morphologischer und lexikalischer Negation.

Syntaktische Negation wird nichtmanuell durch Kopfschütteln markiert. Markiert werden können:

- das Verb
- das Verb mit seinen Objekten

Eine negative Markierung des gesamten Satzes (inklusive des Subjekt) ist ungrammatisch. Die Reichweite (Skopus) der Markierung entscheidet über die Lesart: Eine Markierung des Verbs verneint lediglich das Verb, während die anderen Konstituenten nicht negiert werden (Peter kauft das Buch nicht, er leiht es sich.). Eine Markierung des Verbs und seiner Objekte verneint entweder das gesamte Prädikat oder lediglich die Objekte (Peter kauft kein Buch, sondern er leiht sich eine CD. Peter kauft kein Buch, sondern eine CD.).

Morphologische Negation ist bei bestimmten Gebärden mithilfe eines Derivationsaffixes (nicht können, nicht dürfen, unmöglich). In einigen Fällen können Gebärden auch mit der Gebärde für nicht ein Kompositum bilden (ungerecht, nicht mögen, nicht hoffen).

Lexikalische Negation wird mit Negationsadverbien und Indefinitpronomen ausgedrückt (nicht, niemand, nirgends, keiner). Die Negation mit der Gebärde für nicht ist markiert und betont die Negation, während die syntaktische Negation den unmarkierten Fall darstellt.


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